Donnerstag, Februar 27, 2014

Bürgerschaftliches Engagement als Aufgabe der Freien Wohlfahrtspflege

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände hat zum ersten mal in ihrer Geschichte eine gemeinsame Stellungnahme zum Ehrenamt verfasst. Das war schwieriger als es scheint, den obwohl die Verbände weitgehend ähnliche Interessen verfolgen, gibt es deutliche Unterschiede zwischen ihnen, die insbesondere dann sichtbar werden, wenn es um schriftlich festgehaltene gemeinsame Positionen geht. Die Arbeit am vorliegenden Papier hat lange gedauert, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Zwar ist an einigen Punkten der Kompromiss stärker sichtbar als die inhaltliche Positionierung, aber insgesamt ist ein modernes, die aktuellen Probleme anpackendes und die nächsten Entwicklungen fest ins Auge nehmendes Papier entstanden. Auf achtzehn Seiten findet man viel Interessantes. Hier jetzt die abschließenden Schlussfolgerungen und darunter ein Link zum herunterladen des gesamten Papiers.



Schlussfolgerungen 

Eine lebendige Bürgergesellschaft braucht gute Rahmenbedingungen: 



Engagementpolitik kann Ausgrenzung und Armut nicht verhindern oder Bildungsaufgaben übernehmen – sie kann jedoch förderlich wirken und muss auf die gerechte Ausstattung aller Bürgerinnen und Bürger mit den für bürgerschaftliches Engagement handlungsnotwendigen Ressourcen achten. Hierzu sollte Engagementpolitik stärker die Hemmnisse und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger untersuchen, um moderne und neue Formen zur Förderung zu entwickeln.



In der Gesellschaft ist eine große Engagementbereitschaft vorhanden. Damit sie diese Bereitschaft in die Tat um setzen, brauchen die Bürgerinnen und Bürger eine stärkere Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse. Dies betrifft v.a. die Faktoren Zeit, Verantwortung, Fachlichkeit und Anerkennung. Die sich daraus ergebenden Aufgaben können von Hauptamtlichen nicht nebenbei erledigt werden. Große Einrichtungen und Träger mögen die nötigen Ressourcen für ein professionelles Freiwilligenmanagement und Organisationseinheiten wie Ehrenamtsbüros oder Freiwilligen-Zentren haben. Aber nicht überall sind diese Voraussetzungen gegeben. Die positiven Erfahrungen aus verschiedenen Programmen, wie Stadtteilbüros im Rahmen von Soziale Stadt, Mehrgenerationenhäuser und auch den Gemeinschaftsinitiativen der Europäischen Union zur Strukturförderung, zeigen, wie wichtig Anlauf- und Entwicklungsstellen für bürgerschaftliches Engagement sind. Gleichzeitig fehlt es an langfristiger Förderung und Nachhaltigkeit, so dass eine bundesweite Landschaft von „Projektruinen“ existiert. Zusammen mit der Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sind hier Lösungen für eine verbindliche und nachhaltige engagementfördernde Infrastruktur vor Ort zu finden.



In der Gesellschaft hat sich ein neues Selbstverständnis von Mitentscheidung und Transparenz entwickelt, das nicht allein über Wahlen und Parteimitgliedschaften befriedigt wird. Im Gegenteil: Politik sieht sich mit neuen sozialen Bewegungen konfrontiert, die mitunter diffamierend als „Wutbürger“ bezeichnet werden. Engagementförderung hat die Aufgabe, demokratische Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern auf zugreifen und neue Beteiligungsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte zu entwickeln.



Unternehmen haben auch eine soziale Verantwortung. Wir begrüßen, dass Unternehmen sich zunehmend dieser Verantwortung bewusst zeigen und wollen daran mitwirken. Dabei ist in die politische Debatte stärker einzubringen, dass die Sozialwirtschaft mit ihren eigenen Ökonomieprinzipien ebenfalls ein Modell für wirtschaftliches und soziales Handeln darstellt. Innerhalb der Sozialwirtschaft gibt es eigene Aktivitäten zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, die weiter ausgebaut werden sollten. Als BAGFW sehen wir unsere Aufgabe darin, hier innovative Modelle und Wege aufzuzeigen. 



Im Rahmen der Erbringung und Gewährleistung wohlfahrtspflegerischer Leistungen kommt es zunehmend zur Auszahlung von pauschalen Aufwandsentschädigungen, Honoraren oder Erstattungen für bürgerschaftliches Engagement. Diese gesetzeskonformen und politisch gewollten Zahlungen erfolgen beispielsweise über Sätze in der Kinder- und Jugendhilfe, Pflege sowie im Rahmen von Bundesprogrammen und Modellen. Wir sehen hierin einen Trend zur Monetarisierung des bürgerschaftlichen Engagements, ohne dass dieser bisher hinreichend untersucht wurde. In der Politik wird dieser Trend unterschiedlich aufgegriffen. Auch manche Stiftungen und Unternehmen setzen auf individuelle monetäre Engagementförderung. Wir sehen uns hier vor ein allein nicht lösbares Spannungsfeld gestellt:

Ein Teil der Bürgerinnen und Bürger kann oder will sich nur unter den Bedingungen von monetären Erstattungen engagieren, ein anderer Teil sieht dies kritisch als Form von Fachkräfteersatz unterhalb eines Niedriglohns. Die Bedeutung und Tragweite von monetären Erstattungen ist für verschiedene Engagementformen innerhalb der Sozialwirtschaft und auch in den anderen Sektoren zu evaluieren. Bürgerschaftliches Engagement als Austauschbeziehung auf Basis von Geld widerspricht unserem Leitbild und reduziert Engagement auf einen reinen Dienstleistungscharakter.



Bürokratie und Regulierungen betreffen auch das bürgerschaftliche Engagement, insbesondere in der Vereinsführung. Abgabenordnung, Gemeinnützigkeitsrecht und Verwaltungsvorschriften stellen unabhängig von Umsatzgrößen oder qualitativen Unterschieden zwischen kleinen Vereinen und großen Verbänden eine Herausforderung beziehungsweise Hemmnisse dar. Hier sind dringend Bürokratieabbau und deregulierende Maßnahmen vorzunehmen, um die Arbeit insbesondere von kleinen Vereinen, Jugendverbänden und Selbsthilfegruppen weiterhin zu ermöglichen. Genau auf dieser Ebene beklagen viele Organisationen, dass sich immer weniger Menschen für das klassische Ehrenamt in Vorstandsfunktionen finden lassen. Gründe sind ein Mangel an Zeit und Kompetenz im Umgang mit den gesetzlichen und verwaltungstechnischen Vorgaben. Hier sind Bagatellgrenzen im Antrags- und Verwendungsverfahren dringend notwendig. Eine stringente und koordinierte Engagementpolitik von Bund, Ländern und Kommunen muss entsprechende Vorschläge entwickeln und bessere Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigen.



Über das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund ist nach wie vor vergleichsweise wenig bekannt, außer dass dies tendenziell nicht in den traditionellen deutschen Vereinen stattfindet. Auch Menschen mit Behinderung, Menschen in Armut oder aus sozialen Randgruppen sind wenig in den traditionellen Formen bürgerschaftlichen Engagements vertreten. Engagementpolitik muss verschiedene Zielgruppen in den Blick nehmen und auch eine zielgruppenspezifische Förderpolitik entwickeln. Förderpolitik ist dabei umfassend zu verstehen: Niedrigschwellige Zugänge müssen geschaffen, bisher wenig sichtbares Engagement muss anerkannt werden. Zur Förderung von Engagement und Beteiligung gehören zudem eine breite Etablierung der Leichten Sprache sowie die Entwicklung zielgruppenspezifischer neuer Beteiligungsformate.



Wir halten eine ermöglichende Engagement politik des Bundes für elementar, um Rahmenbedingungen wie Finanzierung, Rechtsentwicklung und Klärung föderaler Zuständigkeiten zu gewährleisten. Eine Klärung von Zuständigkeiten für bürgerschaftliches Engagement innerhalb der Bundesregierung sollte in diesem Kontext erfolgen. Außerdem ist eine stringente Abstimmung mit den Ländern und Kommunen vorzunehmen.



Eine regelmäßige Evaluation der Entwicklungen im bürgerschaftlichen Engagement halten wir für unabdingbar. Mit dem Ersten Engagementbericht der Bundesregierung und dem bereits beauftragten zweiten Bericht ist eine Grundlage geschaffen, deren Handlungsempfehlungen indes einer kritischen Diskussion bedürfen. Ebenso sind die zivilgesellschaftlichen Aspekte aktueller Berichterstattungen der Ministerien einzubeziehen, insbesondere der 6. Altenbericht, der 9. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland sowie der 14. Kinder- und Jugendbericht.



Die Freie Wohlfahrtspflege benötigt mehr quantitative, aber auch qualitative Forschungsergebnisse, aus denen sich wichtige Handlungsempfehlungen für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements ableiten lassen. Zu den Bedarfen gehören statistisch valide Daten und Fakten, etwa zur Zahl der in unterschiedlicher Form und Intensität bei uns engagierten Menschen. Wir benötigen fundierteres Wissen über ihre Zugänge und Hürden, Motive, Bedürfnisse und Erwartungen. Auch über die konkreten Bedingungen des Engagements vor Ort, das Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamt oder die Wirkungen lokaler Infrastruktureinrichtungen verfügen wir noch über kein hinreichendes Wissen. Dem Bereich der Engagementforschung muss daher in den kommenden Jahren verstärkte Aufmerksamkeit zukommen.



 Die gesellschaftlichen Trends und Zukunftsfragen sind unserer Einschätzung nach so wichtig, dass eine breit angelegte Debatte im Rahmen einer weiteren Enquete-Kommission unter Beteiligung aller Parteien, Verbände und Sektoren nötig ist. Eine solche sektorübergreifende Enquete wahrt die verfassungsrechtlichen Aufgaben der Politik und bietet den richtigen Rahmen, um gemeinsam mit den beteiligten Sektoren und Akteuren Handlungsempfehlungen und Selbstverpflichtungen zu entwickeln.



http://www.bagfw.de/uploads/media/4Gesamt_BE.pdf

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