1
Freiwilligenengagement im Kolpingwerk
Die Europäische Union hat 2011 zum Europäischen Jahr der
Freiwilligentätigkeit erklärt. Sie will durch die Ausrufung dieses Jahres
erreichen, dass sich mehr europäische Bürger im Bereich der Freiwilligenarbeit
engagieren, dass staatliche Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement
weiter verbessert werden, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich
auf Freiwilligenarbeit stützen, gestärkt werden und dass Freiwilligenarbeit in
der Gesellschaft eine größere Anerkennung findet.
Die Bedeutung von Freiwilligenarbeit für den Erhalt und die
Funktionsfähigkeit freiheitlicher Gesellschaften ist in den letzten Jahren
immer wieder betont worden. Dabei wurde auch deutlich, dass je nach
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich das Ausmaß und der Umfang von
Freiwilligenengagement in den Staaten Europas deutlich unterscheiden und es
einer Freiwilligenkultur bedarf, die dem einzelnen Bürger zu ehrenamtlichem Engagement
ermutigt und den notwendigen Freiraum für freiwilliges Engagement eröffnet. Doch
nicht nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind für ein
Freiwilligenengagement entscheidend, sondern auch die individuellen
Einstellungen und Erwartungen an ein Freiwilligenengagement. Diese
Einstellungen haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Bestand
Freiwilligenengagement in der Vergangenheit für viele Menschen in der Bereitschaft,
sich in hierarchische Strukturen von Nichtregierungsorganisationen einzubinden
und etwa durch Wahl Führungsämter über einen längeren Zeitraum zu übernehmen,
so suchen heute Freiwillige oft Felder zur Selbstverwirklichung und zur
Mitgestaltung in einem projektorientierten, zeitlich befristeten Engagement.
Das
Verständnis von Ehrenamt und Freiwilligenengagement im Kolpingwerk
Im Kolpingwerk hat das ehrenamtliche Engagement bzw. das
Freiwilligenengagement eine lange Tradition. Aus Anlass des durch die Vereinten
Nationen beschlossenen Jahres des Ehrenamtes 2001 hat KOLPING INTERNATIONAL für
sich das Ehrenamt folgendermaßen definiert: „Ehrenamtliches Engagement ist der
unentgeltliche, freiwillige Einsatz von Einzelnen für eine
gemeinwohlorientierte Aufgabe, die in der Freizeit stattfindet. Ehrenamtliches
Engagement kann dabei sowohl die Übernahme einer konkreten Aufgabe sein, die
Ausdruck von Nächstenliebe ist und die Hilfe von Mitmenschen in einer konkreten
Notsituation zum Ziel hat, wie aber auch die Übernahme einer auf längere Frist
hin angelegte Aufgabe in einer Organisation, die sich gemeinwohlorientierte
Aufgaben zum Ziel gemacht hat.“
Die
Bedeutung und der Stellenwert des Ehrenamtes im Kolpingwerk
Im Kolpingwerk hat das Ehrenamt oder das ehrenamtliche Engagement
als Ausdruck der Freiheit und Würde des Menschen und seiner Mitverantwortung
für die Lösung gemeinwohlorientierter Aufgaben immer eine große Bedeutung gehabt.
Dabei hat das Kolpingwerk die Erfahrung gewonnen, dass die ehrenamtliche
Übernahme von Verantwortung für sich selbst, für Personen und Dinge, für das
Gemeinwesen und die Gesellschaft immer spezifische Lern-, Bildungs- und
Entwicklungschancen eröffnet, die die Persönlichkeit des
ehrenamtlich Handelnden stärken und ihm ein größeres Selbstvertrauen
vermitteln. Neben diesen persönlichen Perspektiven für den ehrenamtlich
Handelnden versteht es das Kolpingwerk aber auch als bürgerschaftliche Pflicht,
sich aktiv im Sinne des Gemeinwohls zu engagieren.
Das Kolpingwerk setzt daher auf allen Ebenen in starkem Maße auf
ehrenamtliches Engagement sowohl im Hinblick auf die Besetzung von
Führungsämtern, wie auch bei der Durchführung konkreter verbandlicher
Initiativen und Aktionen. Vor diesem Hintergrund ist das Kolpingwerk – wie alle
zivilgesellschaftlichen Verbände – darauf angewiesen, immer wieder Freiwillige
für eine ehrenamtliche Mitarbeit zu gewinnen. Dies setzt jedoch voraus, dass
sich das Kolpingwerk den neuen und zum Teil veränderten Voraussetzungen für ein
Freiwilligenengagement stellt.
1. Unterschiedliche Lebensstile brauchen unterschiedliche Zugänge
zur ehrenamtlichen Arbeit
Der von jedem Individuum gewählte Lebensstil und die aktuelle
Lebensphase, in der eine Person steht, haben entscheidende Auswirkungen darauf,
welche Art von ehrenamtlichem Engagement eine Person attraktiv findet und wie
ihre Beweggründe und Bedingungen zur Mitarbeit aussehen. Wenn das Kolpingwerk
das unter seinen Mitgliedern vorhandene Potential von ehrenamtlicher Mitarbeit
nutzen will, muss es immer wieder neue und verschiedenartige Wege finden, wie
dieses Potential ausgeschöpft werden kann. Dabei muss es sowohl für
kurzfristige projektorientierte Einsätze Angebote geben wie auch für ein
längerfristiges Engagement beispielsweise durch die Übernahme von
Leitungsaufgaben.
2. Kolping pflegt eine Kultur der Vielfalt der Charismen
Die Mitglieder im Kolpingwerk haben unterschiedliche Neigungen,
Begabungen und Fähigkeiten, die bei der Ausgestaltung von Angeboten des
Freiwilligenengagements berücksichtigt werden können und müssen. Um möglichst
viel vorhandenes Potential an Freiwilligenarbeit zu nutzen oder auch
Nichtmitgliedern anbieten zu können, pflegt die Kolpingsfamilie eine Auflistung
von Aufgaben, die durch ehrenamtliches Engagement im Sinne des Kolpingwerkes
aufgegriffen
werden könnten. Jede Kolpingsfamilie sollte so etwas wie eine
Ehrenamtsbörse sein. Damit die Mitglieder ihre sicher unterschiedlichen Talente
und Charismen auch als Möglichkeit zu ehrenamtlichem Engagement verstehen, muss
im Kolpingwerk auf allen Ebenen eine Atmosphäre der Offenheit gepflegt werden,
die unterschiedliche Talente für unter-
schiedliche Aufgaben fördert und einsetzt.
3. Ehrenamtliches Engagement bedarf der Qualifizierung
Ehrenamtliches Engagement im Kolpingwerk und in der Gesellschaft
wird mit immer höheren Anforderungen konfrontiert. Daher ist das Kolpingwerk
gefordert, seine Mitglieder für ihr ehrenamtliches Engagement zu qualifizieren.
Das Qualifizierungsangebot sollte sich dabei sowohl darauf richten, die
ehrenamtlich Tätigen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken, wie auch,
sie mit notwendigen Fachkenntnissen für das jeweilige ehrenamtliche Engagement
zu qualifizieren. Die Weiterentwicklung persönlicher und sozialer
Schlüsselkompetenzen sollte nach Möglichkeit durch Zertifikate bestätigt
werden.
4. Kolping bemüht sich um eine Kultur der Anerkennung
Ehrenamtliches Engagement braucht Anerkennung und Wertschätzung.
Im Kolpingwerk muss daher eine Kultur der Anerkennung entwickelt werden, die
durch angemessene und sichtbare Formen zum Ausdruck gebracht wird. Eine zentrale
Form der Anerkennung stellt der Respekt für die erbrachten Leistungen und
Erfahrungen des Ehrenamtlichen dar. Dies wird vor allem auch dadurch erreicht,
dass der Ehrenamtliche von den Mitgliedern und Führungskräften anderer Ebenen
eine Resonanz auf seinen ehrenamtlichen Einsatz erfährt und dieser Einsatz für
ihn erkennbar bemerkt und gewürdigt wird.
5. Ehrenamtliches Engagement bedarf angemessener
gesellschaftlicher Rahmenbedingungen
Das Kolpingwerk sieht eine Aufgabe darin, sich für
gesellschaftliche Rahmenbedingungen einzusetzen, die es Frauen und Männern
gleichermaßen ermöglichen, neben ihrer Erwerbs- und Familienarbeit ehrenamtlich
tätig zu sein. Regierungen sind gefordert, durch eine subsidiär angelegte
Politik die notwendigen Frei- und Spielräume für ein ehrenamtliches Engagement
zu schaffen, um damit auch der Zivilgesellschaft entsprechende
Mitgestaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Durch eine solche Politik erfolgt eine
neue Machtbalance zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.
Beschlossen durch die Kontinentalversammlung des Europäischen
Kolpingwerkes am 1. Mai 2011 in Krakau / Polen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen