Freitag, März 28, 2014

Blog Nr. 400: Interview mit Oswald Menninger, Geschäftsführer des Paritätischen Landesverbandes in Berlin

Die Bedeutung des Ehrenamtes im Paritätischen in Berlin

Unser Ehrenamts-Blog schreibt seinen 400sten Beitrag. Wir haben viele Themen beleuchtet, viele Facetten von Ehrenamt vorstellen können. Zum Jubiläum treffe ich auf Oswald Menninger, den Geschäftsführer des PARITÄTISCHEN Landesverbandes Berlin e.V., welcher um die 700 Mitgliedsorganisationen in Berlin in seiner Mitgliedschaft hat und somit verbindet. Ich frage ihn nach seinen langjährigen Erfahrungen und nach der Bedeutung des Ehrenamtes für den Verband. Und es wird eine Reise zu den Herzen, zu den Wurzeln und zu den Hoffnungen. Aber lesen Sie selbst:

Welche Geschichten fallen Ihnen ein, wenn Sie an sich in Ihre Arbeit hier beim Paritätischen und das Thema Ehrenamt denken? Was hat Sie beeinflusst?
Ich komme ja aus einer Tradition der „Nach68er“ und bin dementsprechend politisiert worden. Daher waren miröffentliche Auszeichnungen oder Ehrungen vollkommen suspekt. Als ich dann hier im Verband praktisch erlebte, wie wichtig es für die Menschen ist, dass wir sie ehren und wahrnehmen für das was sie tun, habe ich mein Bild über diese Anerkennungen radikal geändert: heute finde ich diese Veranstaltungen toll und wir fördern das ausdrücklich. Unser Verband gibt unter anderem einen jährlichen Ehrenamtsbruch für 100 Ehrenamtliche, die Stimmung dort ist immer besonders schön. Bei einer ähnlichen Gelegenheit habe ich einmal eine beeindruckende Dame kennengelernt. Sie war damals um die 90Jahre alt und wir hatten ein so anregendes Gespräch – sie ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Die Menschen sind das Beeindruckende am Ehrenamt.

Ja, Anerkennung ist ein ganz großes Thema – die gemeinsame Arbeit von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen ein anderes.Aus meiner Erfahrung gab und gibt es da immer wieder Schwierigkeiten, erlebten Sie das auch so?
Als wir im Verband  Mitte/Ende der 90er Jahre wieder angefangen haben, das Ehrenamt systematisch zu fördern und als genuinen Bestandteil  wohlfahrtspflegerischer Arbeit anzusehen, hat es viele kontroverse Diskussionen gegeben. Vor allem Hauptamtliche haben hinter der der Zielsetzung das Ehrenamt wieder zu pflegen, dem BürgerschaftlichenEngagement wieder zu seiner ursprünglichen Bedeutung zu verhelfen, eine neoliberale Sozialstaatsstrategie wahrgenommen, die dazu führen soll, dass professionelle Arbeit wieder von Ehrenamtlichen übernommen werden soll,um den Staat zu entlasten. Ja, das Land war und ist tatsächlich enorm überschuldet und wir hatten deshalb schwierigeDebatten. Ich habe aber immer dagegen gehalten mit dem Argument: Ehrenamt kann nie Ersatz für professionelle Dienstleistungen sein. Aber ich will nicht in einer Gesellschaft leben in der alle Probleme ausschließlich professionell bewältigt werden.

Menschen sollen ihre Umgebung wahrnehmen und sichumeinander kümmern?
Genau. Ich komme vom Land mit nicht einfachen aber doch recht intakten Strukturen, wo Menschen in der Not füreinander da sind. Das hab ich im Leben selbst für mich praktiziert. So habe ich jahrelang eine alte Frau, als es noch keine Pflegeversicherung gab, die unter mir im Keller wohnteunterstützt. Das war die letzte Kellerbewohnerin in Kreuzberg Ende der 70er Jahre.
Anfangs war es z.B. nur Hilfe beim Einkauf, aber dann wurde sie älter und konnte ihren Haushalt nicht mehr selbst organisieren. Damals war ich Student und für mich war es selbstverständlich, mich regelmäßig um sie zu kümmern, denn es gab noch keine Sozialstationen. Sie wohnte ja unter mir.
Und dieses Bild, dass man für andere Sorge trägt, habe ich auch im Verband verfolgt. Gerade wo doch die Wohlfahrtspflege ihre Wurzeln in der Ehrenamtlichkeit hat und nicht in der Hauptamtlichkeit. So war es mir wichtig, dass beides zusammen funktionieren muss. Professionelle Dienstleitungen und ein Netzwerk an nachbarschaftlicher Unterstützung, an Selbsthilfe damit die Gesellschaft zusammenhält.

Kommt durch Ehrenamt sozusagen wieder die Gesellschaft mit an den Tisch der Professionellen?
Ja. Und das ist wichtig. Es gab immer Menschen, die sich ehrenamtlich um die Lösung von aktuellen Problemen gekümmert haben. Erst ab einem gewissen Punkt kam der Staat auf den Plan und es entstanden professionelle Hilfen. Das letzte große Beispiel dafür war die Pflegeversicherung von 1995, aber so war es auch u.a. bei der Hospizbewegung in den 90ern, in der Behindertenhilfe in den 60er/70er Jahren: die Vorreiter großer Reformen waren engagierte Menschen, die den Staat in die Pflicht genommen haben. Die neuste Entwicklung sind die Schulfördervereine. Hier wird aus einer Problemwahrnehmung heraus durch zunächst engagierte Eltern aber auch durch Lehrer eine Reform vorangebracht. Schulen sollen wieder besser werden und diese notwendigeEntwicklung wird durch Engagement beeinflusst. Solche Beispiele gibt es noch viele.

Ich weiß aus eigener Erfahrungdass es bei solchen Prozessen natürlich zu starken Reibungen kommt. Hier höre ich dann oft, dass die Ansprüche der  Menschen an Qualität enorm gestiegen sind. Die Latte hängt hoch. Und das kollidiertgleichzeitig noch mit dem Fachkräftemangel. Soll uns jetzt das Ehrenamt retten?
Nein das sehe ich anders: das Ehrenamt sorgt dafür, dass wir die Diskurse bekommen in denen die verschiedenen Aspekte der Erwartungen an Einrichtungen der Daseinsvorsorgevernünftig geklärt werden und im Diskurs sinnvolle Regelungen gefunden werden. Wenn der Staat allein mit seinen bürokratischen Lösungsmustern eher einseitige Sichtweisen zum Maßstab nimmt, bietet das Bürgerschaftliche Engagement die Möglichkeit, sich mit diesen Lösungsmustern konstruktiv auseinanderzusetzen, um noch bessere Lösungen zu entwickeln.

Engagement als Realitätsabgleich?
Ja, die Menschen finden dadurch ein Sprachrohr um Ihre Interessen  in der Organisation der Hilfen einbringen zu können. Aus staatlicher und professioneller Sicht ist dasnatürlich anstrengend, weil sich mit mehr Interessenauseinandergesetzt werden muss. Aber sie haben ja auch eine Aufgabe zu erfüllen.

Gesellschaft verändert sich schnell. Organisationen haben mehr und mehr Probleme, wenn sie ihre Vorstandsposten zufriedenstellend besetzen wollen. Wie können soziale Organisationen für die nächste Generation attraktiv bleiben?
Da sehe ich gar nicht so viele Probleme, wenn wir auf dem Weg der Transparenz bleiben. Das ist so eine Art Zauberformel aber auch eine sinnvolle Anforderung an gemeinnützige Organisationen, dass sie das was sie tun auch transparent vermitteln können;  bis hin zur wirtschaftlichen Transparenz. Wenn man sich nicht abschottet, sondern mit dem Umfeld kommuniziert, dann kann man auch immer wieder Menschen finden, die sich dafür interessieren lassen, sich in der jeweiligen Organisation zu engagieren. Wir sollten den Blick aus dem eigenen sozialen Umfeld in andere gesellschaftliche Kreise richten, um dort Menschen zu finden, die bestens für Vorstands- und somit Führungsaufgaben geeignet sind. Im Feld der Wirtschaft sind Menschen, die gut führen können und die heute auch zunehmend bereit sind, sich zu engagieren. Denen müssen wir vermitteln, wie sinnvoll dies ist. Das gibt natürlich auch Konflikte, weil eine gemeinnützige Organisation nicht spiegelbildlich so funktioniert wie einWirtschaftsunternehmen. Ideelle Zwecke müssen erfüllt werden und Geld ist nur Mittel zur Zweckerfüllung und nicht der eigentliche Zweck. Gemeinnützige Organisationen lassen sich auch nicht so einfach hierarchisch führen wie manches Wirtschaftsunternehmen. Da braucht es entsprechende Lern- und Anpassungsprozesse. Dabei können beide Seiten voneinander lernen.

Nimmt die Sehnsucht nach sozialem Engagement in unserer beschleunigten Welt wieder zu? Gerade heute, wo man mit Geld alles kaufen kann, gibt es da wieder das Hin zu den Dingen, die man eben nicht mit Geld bekommen kann?
Sozialen Zusammenhang kann man nicht mit Geld kaufen. Sozialer Zusammenhang entsteht dann, wenn sich Individuen und gesellschaftliche Gruppen aus den Sektoren Staat, Wirtschaft und Non-Profit-Bereich austauschen. Wir arbeiten mit zwei Organisationen zusammen, die in Berlin ein aus England stammendes Konzept verwirklichen, das mittleres Führungspersonal aus allen 3 Sektoren verbindet und sie sich im Rahmen ihres Programms mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen beschäftigen. Wir haben mittlerweile schon über 20 Stipendiaten finanziert, also Teilnehmende an dem Programm aus unseren Mitgliedsorganisationen. Die kommen alle hellauf begeistert zurück. Mir war immer wichtig, dass die abgeschottete Blickrichtung der Wohlfahrtspflege nach außenaufgebrochen und über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut wird. Durch die Einbindung des Ehrenamts in unseren Organisationen folgt eine Öffnung nach außen und die halte ich für eminent wichtig. Und für Menschen außerhalb unseres Sektors ist es wichtig zu erkennen warum, es diese Hilfen braucht, gerade wenn man selbst nicht hilfsbedürftig ist.

Das heißt Ehrenamt bringt menschliche Qualität in die Gesellschaft?
Das würde ich immer unterstreichen. So entsteht doch dergesellschaftliche Zusammenhalt.

Und wenn Ehrenamt so eminent ist, was können wir tun, was die Monetarisierung und somit die stückweise Untergrabung des Bereiches betrifft?
Wir müssen bei dem Grundsatz bleiben: Ehrenamt ist unbezahlte Arbeit.  Ehrenamt ist freiwillig. Natürlich soll Aufwandsentschädigung gezahlt werden, keiner soll für Ehrenamt noch Geld mitbringen müssen. Deswegen machen wir als Verband die Kooperation mit der BVG und S-Bahn, wo in diesem Jahr 12.000 kostenlose Einzelfahrscheine an Ehrenamtliche verteilt werden und über unsere Stiftung stellen wir jährlich 1000 Monatsfahrkarten kostenlos zur Verfügung.Dass aber das Ehrenamt unter der Hand zu bezahlter Tätigkeit wird, lehne ich klar ab. Nichts destotrotz soll es den Bundesfreiwilligendienst geben, wo  Taschengeld gezahlt wird, weil der Dienst nicht das Ehrenamt dominiert sondern einen Randbereich darstellt. Er hat wie das Freiwillige Soziale Jahr andere Zielgruppen und dient anderen Zwecken, wie zum Beispiel der Berufsorientierung. Hier können wir mit einer Teilbezahlung leben. Diese Dienste sind eine Form von gesellschaftlicher Beteiligung, bei denen man sich ja auch verpflichtet zu einer festen Anzahl von Stunden.

Deswegen ist es meiner Meinung nach sehr sinnvoll, diese Form beim Namen zu nennenDienst.
Ich selbst kenne Organisationen, die die „Büchse der Pandora“ geöffnet haben, weil sie Aufwandentschädigung stundenweise abrechnen und nur schwerlich Ehrenamtliche finden, die sich nun ohne Geld engagieren. Da ist auch Konkurrenz um Engagierte im Spiel und Personalnot. Was tun?
Wir müssen als Verband die entsprechenden Differenzierungen durchhalten. Nur von Ehrenamt reden, wenn es echtes Ehrenamt ist und die anderen Formen von Unterstützung nutzen aber nicht vermischen. Ich würde empfehlen, geringfügige Beschäftigung auch als solches zu benennen. Wir empfehlen unseren Einrichtungen, dass wenn sie Geld bezahlen, und das ist nichts illegitimes, diese Leute nicht als Ehrenamtliche führen. Ich denke, gerade ältere Menschen, die von ihrer Rente allein kaum leben können, können sich mit 400€-Jobs sehr hilfreich betätigen und sich damit den Lebensunterhalt aufbessern.

Wenn Sie persönlich mehr Zeit hätten, welches Ehrenamt würden Sie gern ausüben?
Ich habe zwei Bilder im Kopf: ich denke einerseits schon länger drüber nach, mich im Alpenverein zu engagieren. Ich gehe gern Bergwandern und könnte mir vorstellen, auf einer Hütte zum Beispiel eine ganze Saison quasi ehrenamtlich mitzuarbeiten. Oder auf einer Alm zu helfen. Das andere ist die Idee, Kinder für gutes Essen zu begeistern also in Schulen oder Kitas zu kochen. Das könnte ich mir auch gut vorstellen.Aber dazu habe ich im Augenblick leider keine Zeit.

Ich danke herzlich für das  Gespräch.

Beate Häring










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