Freitag, September 12, 2014

Ehrenamt - erneut im Zentrum der Organisation sozialer Arbeit

In den letzten 20 Jahren hat sich die Wahrnehmung und Stellung des Ehrenamts bei haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im sozialen Sektor stark verändert. Wenn man früher Hauptamtliche nach Ehrenamtlichen in ihrer Arbeitsstelle fragte, hörte man nicht selten: „Haben wir nicht – brauchen wir nicht“ - obwohl die Angesprochenen bei einem Verein angestellt waren, der von Ehrenamtlichen geführt wurde.

Heutzutage wird wieder klarer wahrgenommen, dass der größte Teil sozialer Organisationen letztendlich von Ehrenamtlichen geleitet wird und dass viele wichtige Entscheidungen über den Einsatz von hauptamtlichen Ressourcen von Ehrenamtlichen getroffen werden. Hinzu kommt eine breitere Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit, diese wird in fast allen Bereichen sozialer Arbeit zumindest als sinnvolle Ergänzung hauptamtlicher Aktivität gesehen. Fast überall wird rege geworben mit dem Ziel, Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen dazu zu bewegen, ehrenamtlich aktiv zu werden.

Dabei hat sich die Arbeit mit Ehrenamtlichen erheblich verändert: dort wo sie früher „irgendwie“ mitliefen, sind heute in vielen Betrieben Ehrenamtsmanagerinnen und -manager tätig, die sich gezielt und systematisch um die Organisation der Arbeit kümmern. Ehrenamtliche werden oft in Kombination und enger Verzahnung mit hauptamtlich Tätigen eingesetzt. Die Betriebsabläufe sind nicht mehr ausschließlich auf die Arbeitsbedürfnisse der Hauptamtlichen ausgerichtet, sondern rücken im Rahmen einer breiten Qualitätsentwicklung die Bedürfnisse Derjenigen, für die die Arbeit geleistet wird, in den Focus der Arbeitsorganisation. Dabei werden die Anforderungen der Ehrenamtlichen an ihr Arbeitsumfeld mit berücksichtigt. So ist eine Optimierung der Arbeit bei guter Qualität möglich.

Das löst eine ganze Reihe von Veränderungen in der Arbeitsorganisation aus:
- man braucht spezialisierte und gut ausgebildete Ehrenamtsmanager
- man braucht Hauptamtliche, die ehrenamtliches Personal führen können, und man braucht Ehrenamtliche, die Hauptamtliche anleiten können.

Neben den zusätzlich notwendigen Qualifikationen im Bereich der Personalorganisation ist die Notwendigkeit von fachlicher Fort- und Weiterbildung der Ehrenamtlichen selbst angestiegen. So wie z.B. beim Technischen Hilfswerk und der Feuerwehr seit langem komplizierte und teilweise gefährliche Arbeitsprozesse von gut ausgebildeten Ehrenamtlichen bewältigt werden, so werden inzwischen auch im Bereich sozialer Arbeit eine ganze Reihe von Qualifikationen angeboten, die Menschen auf ihren ehrenamtlichen Einsatz fachlich gut vorbereiten. Das reicht von intensiven Gesprächsführungsausbildungen, wie sie z.B. schon seit einiger Zeit im Bereich der Telefonseelsorge üblich sind und jetzt auch für andere ehrenamtliche Beratungs- und Betreuungsfunktionen angewandt werden, bis zu kürzeren Ausbildungen, wie dem Rollstuhlführerschein, und Ausbildungsreihen zu Grundlagenwissen, wie sie vom Landesverband Berlin des Paritätischen für ehrenamtliche Vorstände angeboten wurden.

Die Aufgabe, diese Ausbildungen zu organisieren, fällt den sozialen Organisationen und ihren Verbänden selbst zu. Die staatlichen und privaten Hochschulen sind strukturell in keiner Weise darauf vorbereitet, diese Qualifikationen zu vermitteln. Zum einen fehlt ihnen der für eine schnelle Umsetzung von fachlichen Bedürfnissen notwendige Praxiskontakt, zum anderen sind sie in ihrer Arbeitsorganisation (Berufung neuer Professorinnen und Professoren) nur schwer in der Lage, schnell auf veränderte Ausbildungsbedürfnisse im Feld sozialer Arbeit zu reagieren.

Die strukturelle Veränderung sozialer Arbeit unter Einbeziehung von Ehrenamtlichen in Kernprozesse der Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Dienstleistungen wird sich aller Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren noch verstärken. Sie wird angetrieben durch eine insgesamt besser ausgebildete Bevölkerung, die mit den Werkzeugen moderner Technologie und dem Internet in der Lage ist, Informationen wesentlich effektiver zu verbreiten und zu beziehen, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Erneut gehen neue Entwicklungen und damit verbundene neue Methoden sozialer Arbeit von Ehrenamtlichen aus. In weitgehend von ehrenamtlicher Arbeit dominierten Organisationen entwickeln selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger diese neuen Formen und sind nicht mehr bereit, auf den Staat, öffentliche Finanzierung und den damit verbundenen langsamen bürokratischen öffentlichen Apparat zu warten. Sie gründen und entwickeln aus dem Bedarf oder der Not heraus das, was sie brauchen, und kreative Hauptamtliche nehmen diese Entwicklungen auf und etablieren diese in den Kernbereichen professioneller sozialer Arbeit.

Die staatlichen Sozialbudgets sind nicht in der Lage, den schnell wachsenden Bereich sozialer Organisationen mit hauptamtlichem Personal auszustatten. Die Lücke zwischen privatem Bedürfnis und staatlicher Finanzierung wird durch Arbeitsformen kombinierter Tätigkeit von ehrenamtlichem und hauptamtlichem Personal teilweise geschlossen. Damit stellen sich für verbandlich organisierte soziale Arbeit neue Anforderungen. Es ist ein breites Feld an Fort- und Weiterbildungsangeboten notwendig, um die benötigte fachliche Qualifizierung zu ermöglichen. Es wird Aufgabe der verbandlichen Bildungsorganisationen sein, diese Formate zu entwickeln und durchzuführen.

Schaut man in die Angebote der paritätischen Bildungsorganisationen, so ist ein Teil der Arbeit getan. Angebote zur Ausbildung von Ehrenamtsmanagerinnen und -managern und für die Qualifizierung ehrenamtlicher Vorstände sind bereits vorhanden. Jedoch werden viele neue Formate in den verschiedenen Bereichen sozialer Arbeit zusätzlich notwendig. Als Beispiel sei hier die Arbeit in Jugendeinrichtungen des Bezirks Marzahn-Hellersdorf in Berlin genannt. Die Förderung der Einrichtungen wird in Zukunft davon abhängig sein, dass 30 Prozent der pädagogischen Leistung von Ehrenamtlichen erbracht werden. Solche Arbeitsmodelle sind ohne Qualifizierung der tätigen Ehrenamtlichen längerfristig nicht realisierbar. Sie zu entwickeln ist und bleibt Kernaufgabe verbandlicher Arbeit!

Geschrieben von Beate Häring und Prof. Dr. Stephan F. Wagner
im Auftrag der 
Paritätischen Akademie Berlin

Keine Kommentare: