Schlussfolgerungen
Eine
lebendige Bürgergesellschaft braucht gute Rahmenbedingungen:
Engagementpolitik
kann Ausgrenzung und Armut nicht verhindern oder Bildungsaufgaben übernehmen –
sie kann jedoch förderlich wirken und muss auf die gerechte Ausstattung aller
Bürgerinnen und Bürger mit den für bürgerschaftliches Engagement handlungsnotwendigen
Ressourcen achten. Hierzu sollte Engagementpolitik stärker die Hemmnisse und
Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger untersuchen, um moderne und neue Formen
zur Förderung zu entwickeln.
In
der Gesellschaft ist eine große Engagementbereitschaft vorhanden. Damit sie
diese Bereitschaft in die Tat um setzen, brauchen die Bürgerinnen und Bürger
eine stärkere Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse. Dies betrifft
v.a. die Faktoren Zeit, Verantwortung, Fachlichkeit und Anerkennung. Die sich
daraus ergebenden Aufgaben können von Hauptamtlichen nicht nebenbei erledigt
werden. Große Einrichtungen und Träger mögen die nötigen Ressourcen für ein
professionelles Freiwilligenmanagement und Organisationseinheiten wie
Ehrenamtsbüros oder Freiwilligen-Zentren haben. Aber nicht überall sind diese
Voraussetzungen gegeben. Die positiven Erfahrungen aus verschiedenen
Programmen, wie Stadtteilbüros im Rahmen von Soziale Stadt,
Mehrgenerationenhäuser und auch den Gemeinschaftsinitiativen der Europäischen
Union zur Strukturförderung, zeigen, wie wichtig Anlauf- und
Entwicklungsstellen für bürgerschaftliches Engagement sind. Gleichzeitig fehlt es
an langfristiger Förderung und Nachhaltigkeit, so dass eine bundesweite
Landschaft von „Projektruinen“ existiert. Zusammen mit der Politik auf Bundes-,
Landes- und kommunaler Ebene sind hier Lösungen für eine verbindliche und
nachhaltige engagementfördernde Infrastruktur vor Ort zu finden.
In
der Gesellschaft hat sich ein neues Selbstverständnis von Mitentscheidung und
Transparenz entwickelt, das nicht allein über Wahlen und Parteimitgliedschaften
befriedigt wird. Im Gegenteil: Politik sieht sich mit neuen sozialen Bewegungen
konfrontiert, die mitunter diffamierend als „Wutbürger“ bezeichnet werden.
Engagementförderung hat die Aufgabe, demokratische Anliegen von Bürgerinnen und
Bürgern auf zugreifen und neue Beteiligungsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte
zu entwickeln.
Unternehmen
haben auch eine soziale Verantwortung. Wir begrüßen, dass Unternehmen sich
zunehmend dieser Verantwortung bewusst zeigen und wollen daran mitwirken. Dabei
ist in die politische Debatte stärker einzubringen, dass die Sozialwirtschaft
mit ihren eigenen Ökonomieprinzipien ebenfalls ein Modell für wirtschaftliches
und soziales Handeln darstellt. Innerhalb der Sozialwirtschaft gibt es eigene
Aktivitäten zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, die weiter
ausgebaut werden sollten. Als BAGFW sehen wir unsere Aufgabe darin, hier
innovative Modelle und Wege aufzuzeigen.
Im
Rahmen der Erbringung und Gewährleistung wohlfahrtspflegerischer Leistungen
kommt es zunehmend zur Auszahlung von pauschalen Aufwandsentschädigungen, Honoraren
oder Erstattungen für bürgerschaftliches Engagement. Diese gesetzeskonformen
und politisch gewollten Zahlungen erfolgen beispielsweise über Sätze in der
Kinder- und Jugendhilfe, Pflege sowie im Rahmen von Bundesprogrammen und
Modellen. Wir sehen hierin einen Trend zur Monetarisierung des
bürgerschaftlichen Engagements, ohne dass dieser bisher hinreichend untersucht
wurde. In der Politik wird dieser Trend unterschiedlich aufgegriffen. Auch
manche Stiftungen und Unternehmen setzen auf individuelle monetäre
Engagementförderung. Wir sehen uns hier vor ein allein nicht lösbares
Spannungsfeld gestellt:
Ein
Teil der Bürgerinnen und Bürger kann oder will sich nur unter den Bedingungen
von monetären Erstattungen engagieren, ein anderer Teil sieht dies kritisch als
Form von Fachkräfteersatz unterhalb eines Niedriglohns. Die Bedeutung und
Tragweite von monetären Erstattungen ist für verschiedene Engagementformen
innerhalb der Sozialwirtschaft und auch in den anderen Sektoren zu evaluieren.
Bürgerschaftliches Engagement als Austauschbeziehung auf Basis von Geld
widerspricht unserem Leitbild und reduziert Engagement auf einen reinen
Dienstleistungscharakter.
Bürokratie
und Regulierungen betreffen auch das bürgerschaftliche Engagement, insbesondere
in der Vereinsführung. Abgabenordnung, Gemeinnützigkeitsrecht und
Verwaltungsvorschriften stellen unabhängig von Umsatzgrößen oder qualitativen
Unterschieden zwischen kleinen Vereinen und großen Verbänden eine
Herausforderung beziehungsweise Hemmnisse dar. Hier sind dringend
Bürokratieabbau und deregulierende Maßnahmen vorzunehmen, um die Arbeit
insbesondere von kleinen Vereinen, Jugendverbänden und Selbsthilfegruppen
weiterhin zu ermöglichen. Genau auf dieser Ebene beklagen viele Organisationen,
dass sich immer weniger Menschen für das klassische Ehrenamt in
Vorstandsfunktionen finden lassen. Gründe sind ein Mangel an Zeit und Kompetenz
im Umgang mit den gesetzlichen und verwaltungstechnischen Vorgaben. Hier sind
Bagatellgrenzen im Antrags- und Verwendungsverfahren dringend notwendig. Eine
stringente und koordinierte Engagementpolitik von Bund, Ländern und Kommunen
muss entsprechende Vorschläge entwickeln und bessere Umsetzungsmöglichkeiten
aufzeigen.
Über
das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund ist nach wie vor
vergleichsweise wenig bekannt, außer dass dies tendenziell nicht in den traditionellen
deutschen Vereinen stattfindet. Auch Menschen mit Behinderung, Menschen in
Armut oder aus sozialen Randgruppen sind wenig in den traditionellen Formen bürgerschaftlichen
Engagements vertreten. Engagementpolitik muss verschiedene Zielgruppen in den
Blick nehmen und auch eine zielgruppenspezifische Förderpolitik entwickeln.
Förderpolitik ist dabei umfassend zu verstehen: Niedrigschwellige Zugänge
müssen geschaffen, bisher wenig sichtbares Engagement muss anerkannt werden.
Zur Förderung von Engagement und Beteiligung gehören zudem eine breite
Etablierung der Leichten Sprache sowie die Entwicklung zielgruppenspezifischer
neuer Beteiligungsformate.
Wir
halten eine ermöglichende Engagement politik des Bundes für elementar, um
Rahmenbedingungen wie Finanzierung, Rechtsentwicklung und Klärung föderaler
Zuständigkeiten zu gewährleisten. Eine Klärung von Zuständigkeiten für
bürgerschaftliches Engagement innerhalb der Bundesregierung sollte in diesem
Kontext erfolgen. Außerdem ist eine stringente Abstimmung mit den Ländern und
Kommunen vorzunehmen.
Eine
regelmäßige Evaluation der Entwicklungen im bürgerschaftlichen Engagement
halten wir für unabdingbar. Mit dem Ersten Engagementbericht der
Bundesregierung und dem bereits beauftragten zweiten Bericht ist eine Grundlage
geschaffen, deren Handlungsempfehlungen indes einer kritischen Diskussion
bedürfen. Ebenso sind die zivilgesellschaftlichen Aspekte aktueller Berichterstattungen
der Ministerien einzubeziehen, insbesondere der 6. Altenbericht, der 9. Bericht
über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland sowie der 14.
Kinder- und Jugendbericht.
Die
Freie Wohlfahrtspflege benötigt mehr quantitative, aber auch qualitative
Forschungsergebnisse, aus denen sich wichtige Handlungsempfehlungen für die
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements ableiten lassen. Zu den Bedarfen
gehören statistisch valide Daten und Fakten, etwa zur Zahl der in unterschiedlicher
Form und Intensität bei uns engagierten Menschen. Wir benötigen fundierteres
Wissen über ihre Zugänge und Hürden, Motive, Bedürfnisse und Erwartungen. Auch
über die konkreten Bedingungen des Engagements vor Ort, das Zusammenwirken von
Haupt- und Ehrenamt oder die Wirkungen lokaler Infrastruktureinrichtungen
verfügen wir noch über kein hinreichendes Wissen. Dem Bereich der
Engagementforschung muss daher in den kommenden Jahren verstärkte
Aufmerksamkeit zukommen.
Die
gesellschaftlichen Trends und Zukunftsfragen sind unserer Einschätzung nach so
wichtig, dass eine breit angelegte Debatte im Rahmen einer weiteren
Enquete-Kommission unter Beteiligung aller Parteien, Verbände und Sektoren
nötig ist. Eine solche sektorübergreifende Enquete wahrt die verfassungsrechtlichen
Aufgaben der Politik und bietet den richtigen Rahmen, um gemeinsam mit den
beteiligten Sektoren und Akteuren Handlungsempfehlungen und
Selbstverpflichtungen zu entwickeln.